
"Anna, traurige Berühmtheit"

Ein äusserlich spannender und ergreifender Roman in dem Eveline Hasler die tragische und wahre Geschichte der Anna Göldin schildert. Die letzte Frau in Europa, die in der Schweiz als Hexe hingerichtet wurde.
Die Schreibweise von Eveline Hasler ist hervorragend und macht viel an der Geschichte aus, besonders wichtig sind auch die Auszüge von Akten aus dieser Zeit, die Glaubwürdigkeit verleihen und dem Ganzen eine gewisse Objektivität vermittelt. In ihrem Roman greift Eveline Hasler die Hintergründe und Umstände auf, die schlussendlich zum "legalen" Hexenprozess führten.
Als am 18. Juni 1782 Anna Göldin als Vergifterinn angeklagt und durch das Schwert hingerichtet wurde, wussten alle im Glarnerland von der Hexe, die das guffenspeiende Kind des Arztes und Fünferrichters Tschudi verdorben haben soll.
Anna Göldin, hat nirgends ein festes Zuhause, sie ist frei und unabhängig, steht am Rande jeder Gesellschaft und passt nicht in die gesellschaftliche Vorstellung einer damaligen Frau hinein. Sie weist eine starke Unabhängigkeit und innere Autonomie auf, Charakterzüge die den Männern der herrschenden Schichten vorbehalten war. Anna Göldin als unabhängige, kluge, eigenwillige, schöne und starke Frau ist für Verhältnisse des 18. Jahrhunderts eine „moderne“ Frau und sticht heraus, trotzdem muss sie als Magd arbeiten und sich der sozialen Ordnung fügen. Eveline Hasler spricht dadurch die Innere Unabhängigkeit einer Einzelperson von der gängigen Gesellschaft an. Sie greift auf die Verachtung der Frau auf, die nicht in das Gesellschaftsbild hinein passt, auf das Misstrauen und die Verfolgung des Aussenseiters.
Das Wort einer einfachen Magd steht schliesslich gegen das einer angesehenen und mächtigen Familie. Im Prozess gegen einen bornierten, subjektiven und misogynistischen Justizapparat hat die alleinstehende Frau keine Chance. Anna Göldin musste weg. Der Teufel kam ihnen da gelegen und der Strafprozess stand somit unter dem Schutz des Aberglaubens. Die Anschuldigung der Hexerei wurde als Werkzeug benutzt um Angst in der Bevölkerung zu schüren, die das Unbewusste, das Dunkle und Zwielichtige gerne nach aussen hin projiziert, in Menschen, die anders sind als die gesellschaftlich anerkannte Norm, die verteufelt werden und schliesslich als Sündenbock benutzt werden.
Im Fall Anna Göldin, konnte mit einer blossen Anschuldigung einer mächtigen Familie die Aussenseiterin in den Köpfen der Gesellschaft machtvoller werden, sie wuchs und wurde gross und grösser, schwoll ins Ungeheure, wurde zu einer Zauberin mit gefährlichen Kräften. Sodass man sich im Zeitalter der Aufklärung plötzlich wieder im Mittelalter befand, beim Teufel. Das Zwielichtige, aus den glänzenden Zentren Europas von den illuminierten Köpfen weggejagt, fand schliesslich Zuflucht in den Täler des Glarnerlands und es kam zum letzten Hexenprozess Europas, in einem Zeitalter, in der anderswo die Vernunft die kühnsten Triumphe feierte.
Schlusswort:
Der Fall der Anna Göldin verlief damals mehr als fraglich. In Glarus waren die Originaltexte nach dem Prozess sofort verschwunden. Das Urteil wurde zudem nicht einmal von dem zuständigen Gericht gefällt und war somit von Rechtswegen ungültig. Der Prozess ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie Beziehungen und materielle Interessen Hand in Hand gehen und wie unter dem Schein des Rechts jegliches Recht verachtet wird. Die Hinrichtung der Anna Göldin wird heute als Justizmord bezeichnet. Anna Göldin erlangte schlussendlich Gerechtigkeit, die vermeintliche "letzte Hexe Europas" wurde rehabilitiert und vom Glarner Parlament für unschuldig erklärt, – 226 Jahre zu spät.